Fleisch ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Ernährung, wird aber vermehrt angezählt - vorwiegend aufgrund seiner verheerenden Umweltbilanz. Doch seit Jahrzehnten bahnt sich ein Wandel unserer Esskultur an, der Fleisch teils ausschließt, teils transformiert zu einem nachhaltigen Produkt.
What the F**k is "New Food"?
Starten wir mit einer kleinen Einordnung von "New Food". Eine offizielle Definition gibt es nämlich nicht. Im folgenden meint "New Food", neu interpretierte, neuartige oder alternative Proteinquellen für tierische Produkte. Häufig wird in dem Zusammenhang auch von Alternativen Proteinen (kurz "Altprotein") gesprochen. Der Ursprung liegt in der Produktkategorie der "Ersatzprodukte". Das greift aber zu kurz, weshalb sich der Begriff "New Food" allmählich durchsetzt.
Wie alles begann
Schreibt man über Evolution, sollte zunächst definiert werden, wo denn der Ausgangspunkt liegt. Ich erspare mir (und euch) mal die Geschichte davon, wie wir von Sammlern zu Jägern wurden, wie die Menschheit das Feuer entdeckte und Fleisch zu unserer wichtigsten Proteinquelle wurde.
Fangen wir lieber bei unserem ökologischen Tiefpunkt an: der Massentierhaltung.
An dieser Stelle könnte ich jetzt diverse Zahlen und Fakten niederschreiben, die belegen, warum unser Fleischkonsum so nicht länger tragbar ist. Mache ich aber nicht. Das haben uns diverse Studien und "unterhaltsame" Dokumentationen wie Cowspiracy ausreichend beschrieben und visualisiert.
Wann genau die Massentierhaltung begann, lässt sich nicht klar bestimmen. Aber es dürfte um die 1950er Jahre gewesen sein, als Fleisch einen Boom erlebte. Während in Deutschland 1950 noch um die 37 Kilogramm pro Person im Jahr verzehrt wurde, waren es 1980 schon mehr als 100 Kilogramm.
Fakt am Rande:
Der erste europäische Vegetarier-Verein entstand bereits 100 Jahre früher. 1847 wurde in Manchester die Vegetarian Society of the United Kingdom gegründet.
Wir verloren das Tier als individuelles Lebewesen aus den Augen und bewirtschafteten immer größere Bestände. Bis in die 1980er Jahre hinein gab es daran auch kaum Kritik. Selbst an der Friedens- und Ökologiebewegung der 1970er Jahre ging das Problem weitestgehend vorbei.
Erstmals taucht der Begriff "Massentierhaltung" in Deutschland 1975 auf - und zwar in der "Verordnung zum Schutz gegen die Gefährdung durch Viehseuchen bei der Haltung von Schweinebeständen", welche meist einfach "Massentierhaltungsverordnung" genannt wurde.
In den 1990er Jahren entwickelte sich dann mit der biologischen Landwirtschaft ein Alternativmodell zur Massenproduktion von Fleisch und mit dem ersten BSE-Fall in Deutschland im Jahr 2000 nahm auch die vegetarische Bewegung so langsam Fahrt auf.
Die ökologische Tierzucht und -Haltung könnte man als die erste große Evolutionsstufe von New Food bezeichnen.
2001 wurde in Deutschland das Bio-Siegel eingeführt und 2010 folgte dann auch eine EU-einheitliche Regulierung, gekennzeichnet mit dem EU-Bio-Logo. Seit dem steigt der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln stetig und stark an.
"Bio" war und ist ein sehr guter erster Schritt in eine ökologische und ethische Tierhaltung, aber aus diversen diversen Gründen nicht ausreichend, um von den gravierenden Problemen der Massentierhaltung wegzukommen.
Bio-Fleisch wird auch in ferner Zukunft eine relevante Rolle in unserem Fleischkonsum einnehmen, denn bei aller Alternativen wird Fleisch - vor allem in Hinblick auf die Kombination von Geschmack und Textur - nicht so leicht zu ersetzen sein.
Trotz der besseren Bedingungen durch "Bio", nahm um den Jahrtausendwende die Anzahl an Vegetariern stark zu, wenn auch erstmal auf sehr niedrigem Niveau. 2008 waren es noch rund 1,6% in Deutschland, heute verzichten bereits über 6% der deutschen Bevölkerung auf Fleisch und knapp 1% vollständig auf tierische Produkte.
Zu Beginn fehlte es aber noch an einschlägigen Innovationen im Lebensmittelmarkt. Tofu war DAS Ersatzprodukt der "0er-Jahre" und die Bewegung ging einher mit dem Trend zum Verzicht auf Zusatzstoffen (Clean Label), was letztendlich nur natürliche, wenig verarbeitete Alternativen zu Fleisch zuließ.
Um das Jahr 2010 herum war es dann endlich so weit - Die Fleischersatzprodukte fanden Einzug in die Supermärkte und viel wichtiger: Sie sahen aus wie Fleisch. Das berüchtigte Soja-Schnitzel eroberte die Supermarktregale. Insbesondere die Gründung von LikeMeat befeuerte in Deutschland die Nachfrage einschlägiger Artikel - auch, durch die wachsende Vielfalt an Produkten. Spätestens, als Rügenwalder Mühle verkündete, bis 2020 30% des Gesamtumsatzes mit vegetarischen Produkten erzielen zu wollen (was das Unternehmen letztendlich schon 2016 erreichte), wurde wohl auch dem letzten der Branche bewusst, dass es sich hierbei nicht um ein paar Spinnereien handelt.
Es gab und gibt allerdings noch zwei wesentliche Probleme: Erstens sind Ersatzprodukte alles andere als "Clean" und zweitens schmecken die Veggie-Schnitzel, -Burger, -Würste und Co. einfach nicht wie Fleisch.
Aber, mit dem Einzug der Fleischersatzprodukte, wie sie heute in großer Vielfalt in den Supermarkt- und Discounterregalen zu finden sind, wurde der Grundstein für eine gänzlich neue Proteinzufuhr gelegt. Es deutete sich eine Revolution an.
Mitte der 2010er-Jahre rückte eine, für die westliche Welt bisher unbekannte (vielmehr ignorierte) Alternative zum herkömmlichen Fleisch in den Fokus der Medien und der Lebensmittelbranche: Insekten.
Die Vorteile lagen auf der Hand: Bessere Proteineffizienz, weniger Platzbedarf und insgesamt einfach nachhaltiger. Zu Beginn der Diskussionen wurden allerdings die vielen Nachteile ignoriert. Die westliche Welt ekelt sich vor Insekten, sie haben geschmacklich wenig mit Fleisch gemein und es handelt sich immer noch um Lebewesen.
Diverse Studien sagen dem Markt für pflanzliche Proteine goldene Zeiten voraus. Grund dafür sind aber nicht die nach Getreide schmeckenden und hinsichtlich Textur und Saftigkeit kaum vergleichbaren Ersatzprodukte, sondern Innovationen, die pflanzliche Alternativen schmecken lassen, wie Fleisch.
Diese Innovation begann mit Beyond Meat. Das Unternehmen, mit Sitz in Kalifornien, hat es sich seit seiner Gründung 2009 zur Aufgabe gemacht, "Pflanzliches Fleisch" zu entwickeln, welches dem Original in nichts nachsteht. Der Beyond Burger hat seine Basis auf Erbsenprotein und kam nach vier Jahren Entwicklungszeit 2013 erstmalig auf den amerikanischen Markt (in Deutschland gibt es den Beyond Burger seit 2018).
Spätestens nachdem die Kalifornier 2019 an die Börse gingen, dämmerte es einigen Branchenkennern, dass hier gerade Großes passiert.
Mit Impossible Foods kam 2011 ein weiterer interessanter Player auf die Bühne - quasi als Antagonistin von Beyond Meat.
Der Impossible Burger, der 2016 erstmals zu erwerben war, ist in geschmacklicher und haptischer Hinsicht kaum von Rindfleisch zu unterscheiden und darüber hinaus deutlich gesünder.
Dieses Ergebnis erhält das Startup durch die Mischung einer Hämoprotein-Flüssigkeit, einem aus Kartoffeln und Weizen gewonnenen Protein-Gel, aus Konjakwurzeln gewonnenen Kohlenhydraten sowie Kokosnussöl.
Um das Hämoprotein in ausreichend großer Menge zu gewinnen, veränderten die Forscher sogar die DNA von Hefe.
Der Erfolg dieser beiden Unternehmen und die Nähe zum Original waren der Startschuss für eine Revolution des Fleischmarktes. Investitionen in einschlägige Startups nehmen seit dem stetig zu und gipfelten in den vergangenen beiden Jahren 2020 und 2021.
Immer mehr Unternehmen wagen sich weltweit in die Entwicklung immer besserer Fleischalternativen. Dank Beyond Meat und Impossible Foods hat der Markt verstanden, dass es für die Revolution mehr braucht, als püriertes und in Form gepresstes Soja.
Bereits 2004 arbeiteten drei niederländische Universitäten im Labor an etwas, was den Fleischmarkt endgültig umkrempeln wird. Doch erst 2013 war es endlich so weit: die österreichische Ernährungswissenschaftlerin und Trendforscherin Hanni Rützler durfte unter großem PR-Spektakel den ersten kultivierten Burger probieren.
Seit dem ist viel, sehr viel passiert. Angefangen mit der Namensfindung, die - dank Presse - keinen guten Start hinlegte. "Laborfleisch" machte noch nicht so richtig Lust auf einen Burger aus der Petrischale und auch der Nachfolger "Clean Meat" war zwar schon Presse-, aber eben nicht alltagstauglich. Aktuell stehen wir bei "In-vitro-Meat", "Cultured Meat" und meinem persönlichen Favoriten "Cultivated Meat" (wer is(s)t nicht gerne kultiviert?!). Bis zur Marktreife findet sich wohl auch noch eine Bezeichnung, die den Konsument*innen richtig Lust macht.
Ach so, du weißt gar nicht genau, was Cultivated Meat ist? Hier eine kurze Erklärung:
Dabei handelt es sich um echtes Fleisch, also vom Tier. Oder eben auch nicht. Also ein bisschen Tier braucht es dafür schon. Okey, nochmal von vorne: Cultivated Meat ist Fleisch, dass durch direkte Kultivierung tierischer Zellen hergestellt wird. Kultiviertes Fleisch besteht aus den gleichen Zelltypen, gleicher oder ähnlicher Struktur wie tierisches Gewebe. Dadurch hat es das sensorische und ernährungsphysiologische Profil von herkömmlichem Fleisch. Zunächst braucht es Stammzellen. Diese Ausgangszellen werden dem jeweiligen Tier schmerzfrei durch eine Biopsie und ohne Tötung entnommen, dann in Bioreaktoren gezüchtet und dabei mit einem sauerstoffreichen Zellkulturmedium gefüttert, das aus Grundnährstoffen wie Aminosäuren, Glukose, Vitaminen und anorganischen Salzen besteht und mit Proteinen und anderen Wachstumsfaktoren gefüttert wird. Die die dadurch gezüchteten Zellen werden dann "geerntet", präpariert und zu Endprodukten verarbeitet.
Seit der Vorstellung 2013 hat sich viel getan. Die Branche sammelte seit dem mehr als 600 Millionen US-Dollar an Finanzmitteln ein und die Anzahl der Unternehmen stieg auf über 50 weltweit - und nimmt in einem rasanten Tempo weiter zu.
Eines der führenden Unternehmen ist Eat Just. Bekannt wurden die Amerikaner durch ihr tierloses Flüssig-Ei (JUST Egg), konzentrieren sich aber seit einiger Zeit stärker auf kultiviertes Fleisch und haben 2020 als weltweit erstes Unternehmen in Singapur die Zulassung erhalten, ihre Hühnchenalternative dort zu vermarkten.
Gegenwärtig sind die Vereinigten Staaten so etwas wie das weltweite Zentrum kultivierten Fleisches. Dort sitzen die meisten Unternehmen (u.a. Eat Just, Upside Foods, BlueNalu, Boston Meats, Matrix Meats usw.) der Branche und ebenso kommt dort der Großteil des Venture Capitals der Branche her.
Gerüchten zufolge werden wohl auch die USA zeitnah kultiviertes Fleisch für den kommerziellen Verkauf zulassen.
Auch Israel und Singapur sind sind wichtige Treiber für die Kulturfleischindustrie. Dort ansässige Startups wie Aleph Farms, SuperMeat und Future Meat (Israel) sowie Umami Meats, Shiok Meats und Gaia Foods (Singapur) gehören zu den wichtigsten Innovatoren der Branche.
Und natürlich mischt auch Europa mit. Mosa Meat, welches aus den ursprünglichen Forschungen der anfangs erwähnten Universitäten herausgegründet wurde, hat das potenzial, zum europäischen und vielleicht weltweiten Marktführer heranzureifen. Weitere europäische Unternehmen sind u.a. Alife Foods, Bio Tech Foods und Meatable.
Doch obwohl die Europäische Union bereits existierende Regularien zur Zulassung kultivierten Fleisches hat und einschlägige Forschungen sogar fördert, wird davon ausgegangen, dass sich die Zulassung hinziehen wird (Die Fleischlobby lässt grüßen).
Warum machen wir das eigentlich alles? Naja, die Vorteile von Cultivated Meat liegen auf der Hand: Aufgrund des effizienteren Produktionsprozesses punktet kultiviertes Fleisch gegenüber konventioneller Tierhaltung in erster Linie mit einer besseren Ökobilanz. Es braucht deutlich weniger Land und Wasser, es werden deutlich weniger Treibhausgase emittiert und die, durch die Landwirtschaft verursachte Umweltverschmutzung, wird stark verringert. Und nicht zuletzt müssen für Fleisch aus dem Labor keine Tiere mehr sterben.
Wer sich jetzt noch mehr "kultivieren" möchte, kann sich ja mal die Trendstudie des deutschen Technologieunternehmen Merck durchlesen, welche die Auswirkungen von Cultivated Meat auf die Gesellschaft und Lebensmittelbranche umfassend betrachtet.
Wie geht es nun weiter? Für den Anfang wird es voraussichtlich erstmal auf Hybride Produkte hinauslaufen - also einer Kombination von kultivierten Fleisch mit pflanzlichen Zutaten, ähnlich der in Singapur bereits zugelassenen Chicken-Nuggets von GOOD Meat (Tochtergesellschaft von Eat Just).
100% kultiviertes Fleisch wird wiederum erstmal nur in Form von Hackfleisch verfügbar sein, da es deutlich schwieriger ist, ganze Muskeln herzustellen.
Kommen wir zum "Heiligen Gral": Dem Steak aus dem Labor - also dem kultivieren sogenannter "Wholecuts". Dafür gilt es aber noch einige technische Hürden zu überwinden. Aber, es gibt bereits erste Erfolge zu vermelden. Japanische Forscher konnten mit Hilfe eines 3D-Druckers Wagyu-Rindfleisch erzeugen, das wie ein natürliches Steak aus Muskel- und Fettgewebe sowie Blutgefäßen besteht. Ähnliche Erfolge vermeldete kürzlich das israelische Startup Mea Tech.
Neben der eigentlichen Forschungsarbeit und der Zulassung wird wohl die Massenproduktion die größte Herausforderung. Bis wir kultiviertes Fleisch im großen Umfang und zu marktgerechten Preisen erzeugen können, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern. Es wird aber spekuliert, dass kultiviertes Fleisch bereits ab 2030 kosteneffektiv sein könnte, mit Produktionskosten von nur 6,43 Dollar pro Kilogramm.
Wie will man Fleisch aus dem Labor noch toppen? Versuchen wir es mal mit Fleisch aus Luft. Klingt verrückt? Ist es aber nicht. Das finnische Startup Solar Foods möchte genau das machen und sammelte mit dieser Idee bereits Millionen an Kapital ein.
Kern dieser Innovation ist das unternehmenseigene Produkt namens "Solein", ein Proteinpulver mit allen essentiellen Aminosäuren, welches zu großen Teilen aus CO2 besteht und in Aussehen und Geschmack Weizenmehl ähnelt.
Für die Herstellung von Solein wird Kohlendioxid aus der Umgebungsluft gefiltert. Das gewonnene CO2 wird mit Wasserstoff in einen Bioreaktor gegeben und dient dort speziellen Mikroorganismen als Futter. Durch einen Fermentationsprozess entsteht am Ende das Proteinpulver Solein.
„Solein verschwindet in den täglichen Mahlzeiten, während es gleichzeitig seinen hohen Nährwert beibehält und eine einheitliche Lösung bietet, die praktisch alle denkbaren Mahlzeiten von heute und morgen abdeckt“, sagt Juha-Pekka Pitkänen, CTO und Mitgründer von Solar Foods.
Damit könnte Solar Foods die Art und Weise, wie Lebensmittel erzeugt werden, von Grund auf verändern.
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