In den letzten 70 Jahren hat sich die Art des Zusammenlebens in Deutschland erheblich verändert. Laut dem Statistischen Bundesamt hat sich die Zahl der Einzelhaushalte seit 1950 mehr als verdoppelt. Während 1950 nur etwa 19 Prozent der Haushalte von einer Person geführt wurden, betrug dieser Anteil 2022 etwa 41 Prozent. Dies entspricht rund 16,7 Millionen Einzelhaushalten bundesweit. Diese Entwicklung hat tiefgreifende Auswirkungen auf viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere auf die Lebensmittelindustrie.
Die Zunahme der Einzelhaushalte ist Teil eines umfassenderen gesellschaftlichen Wandels. Der Rückgang der Drei-Generationen-Haushalte und die Verkleinerung der durchschnittlichen Haushaltsgröße von drei Personen im Jahr 1950 auf zwei Personen im Jahr 2022 spiegeln Veränderungen in den Familienstrukturen und Lebensstilen wider. Während 1950 nur etwa sechs Prozent der Bevölkerung allein lebten, waren es 2022 bereits über 20 Prozent. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von höheren Scheidungsraten über zunehmende Urbanisierung bis hin zu einem allgemein längeren Leben und einem späteren Heiratsalter.
Die demografische Verschiebung hin zu mehr Einzelhaushalten hat erhebliche Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten. Einzelpersonen haben andere Bedürfnisse und Vorlieben als Mehrpersonenhaushalte. So kaufen sie tendenziell kleinere Packungen und legen größeren Wert auf Bequemlichkeit und Einfachheit bei der Zubereitung von Mahlzeiten. Dies zeigt sich beispielsweise in der gestiegenen Nachfrage nach Single-Portionen, Fertiggerichten und Takeaway-Angeboten. Auch frische, leicht zuzubereitende Lebensmittel und Convenience-Produkte gewinnen an Bedeutung.
Allein zu wohnen kann auch erhebliche Nachteile mit sich bringen, insbesondere im Hinblick auf die Ernährung. Australische Forscher von der University of Queensland haben in einer Analyse von 41 Studien gezeigt, dass Einzelpersonen häufiger schlecht essen. Gründe hierfür sind unter anderem mangelndes Kochwissen, fehlende Motivation, höhere Lebensmittelpreise und das Fehlen einer Begleitung beim Einkaufen. Diese Faktoren führen dazu, dass sich Alleinlebende oft von Lieferdiensten, Instant-Nudeln und einfachen Mahlzeiten wie Reis mit scharfen Saucen ernähren.
Das Kochen für eine Person kann eine entmutigende Aufgabe sein, da es schwierig ist, Zutaten in kleinen Mengen zu kaufen und die Motivation für aufwendige Gerichte oft fehlt. Essen hat eine wichtige kulturelle und soziale Funktion, und das Alleinleben kann diese Erfahrung beeinträchtigen. Alleinlebende greifen häufiger zu Fertiggerichten und konsumieren weniger Obst, Gemüse und Fisch, was zu einer unzureichenden Nährstoffaufnahme führen kann.
Wirtschaftliche Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle, da gesunde Lebensmittel wie frisches Obst, Gemüse und Fisch oft teuer sind und häufiger gekauft werden müssen. Dies stellt eine zusätzliche finanzielle Belastung dar, die viele Einzelpersonen davon abhält, sich ausgewogen zu ernähren.
Die psychologischen Auswirkungen des Alleinlebens können ebenfalls die Ernährung beeinflussen. Einsamkeit, insbesondere bei älteren Menschen, ist ein wichtiger Faktor für Mangelernährung. Menschen, die sich kürzlich getrennt haben oder verwitwet sind, haben möglicherweise nicht die Fähigkeiten oder die Motivation, für sich selbst zu kochen, da sie sich zuvor auf ihren Partner verlassen haben.
In Ländern wie Großbritannien und den Niederlanden haben "Ready to Eat", "Ready to Heat" und "Fresh Cut" Produkte bereits einen deutlichen Anteil im Supermarkt erlangt. Diese Produkte bieten eine bequeme Lösung für Einzelhaushalte, die frische Zutaten und gesunde Mahlzeiten bevorzugen, aber nicht die Zeit oder die Motivation haben, diese selbst zuzubereiten. Diese Kategorien gewinnen auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung und stellen eine logische Entwicklung dar, um den veränderten Konsumbedürfnissen der wachsenden Zahl von Einzelhaushalten gerecht zu werden. Die Lebensmittelindustrie muss daher verstärkt auf diese Trends reagieren und entsprechende Produkte entwickeln, um den Anforderungen der Verbraucher gerecht zu werden.
Der Convenience-Sektor in den Niederlanden ist stark entwickelt, insbesondere durch die Beliebtheit von Frischepaketen und Kochboxen. Während in Deutschland 90 % der Fresh-Cut-Produkte aus Salaten bestehen, kaufen in den Niederlanden 99 % der Haushalte Fresh-Cut-Gemüse, wobei der Anteil von Fresh-Cut-Gemüse an den Gesamtausgaben bei 36 % liegt. Der große Unterschied zwischen den beiden Ländern liegt in der höheren Akzeptanz und dem größeren Vertrauen der niederländischen Verbraucher in Convenience-Produkte.
Für Einzelpersonen lohnt sich das frische Kochen häufig nicht. Die Beschaffung und Lagerung frischer Zutaten, die Zubereitung und die Reinigung im Anschluss sind zeitaufwendig und oft mit unnötigen Resten verbunden. Daher greifen viele Einzelhaushalte vermehrt zu Fertiggerichten. Dies hat zu einer erhöhten Nachfrage nach gesünderen Alternativen bei Fertiggerichten geführt, die sowohl bequem als auch nahrhaft sind.
Der Bedarf ist also da, doch die Sensibilität dafür schein noch nicht überall angekommen, geschweige denn, dass das Potenzial im vollen Ausmaß erkannt wird. Selbst Hellofreh, die sich wohl wie kaum eine anderes Unternehmen dieses Potenzial zu nutze machen könnten, bieten aktuell nur Boxen für 2 bis 4 Personen an. Man muss sich also Frage: “Wo bleibt die Single-Box”?
Anders sieht es im Bereich der Tiefkühlkost aus, hier überzeugen insbesondere Startups wie Every, Coolio oder Juit setzen nicht nur auf Portionsgrößen für Enzelpersonen, sondern bieten gleich eine Vielzahl gesünderer, ausgewogenerer und vielseitiger Optionen.
Leider sind Tiefgekühlte Convenience Produkte ein hartes Geschäft. Der Versand ist kosspielig und die Truhen in den Supermärkten bieten nur wenig Platz für neue Player. So musste Coolio Foods bereits wieder schließen.
Hersteller und Einzelhändler sind gefordert, ihre Produktpalette anzupassen und innovative Lösungen zu entwickeln. Kleinere Verpackungseinheiten, individualisierte Produkte und eine verstärkte Ausrichtung auf E-Commerce sind einige der Strategien, die bereits verfolgt werden. Die Entwicklung gesunder Fertiggerichte, die den Anforderungen an Bequemlichkeit und Qualität gerecht werden, gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vermarktung. Werbung und Produktkommunikation müssen auf die spezifischen Bedürfnisse und Lebensstile von Einzelpersonen zugeschnitten sein. Dies bedeutet, dass Marketingkampagnen vermehrt auf digitale Kanäle setzen und personalisierte Ansprachemethoden nutzen müssen. Soziale Medien und Influencer-Marketing spielen hierbei eine immer größere Rolle.
Die Zielgruppe der Einpersonenhaushalte in Deutschland bietet für die Marketingbranche vielfältige und vergleichsweise einfache Möglichkeiten der Ansprache. Die große Anzahl an Einzelhaushalten, die mittlerweile rund 41 Prozent aller Haushalte ausmacht, stellt eine deutliche und gut definierte Zielgruppe dar, die mit spezifischen Marketingstrategien effektiv erreicht werden kann.
Partnervermittlungsportale und Apps sind ein vielversprechender Kanal, um die Zielgruppe der Einzelhaushalte anzusprechen. Diese Plattformen haben bereits eine breite Nutzerbasis von Einzelpersonen, die aktiv auf der Suche nach Kontakten und Beziehungen sind. Durch strategische Kooperationen können Unternehmen gezielt Produkte und Dienstleistungen bewerben, die auf die Bedürfnisse von Einzelhaushalten zugeschnitten sind. Dies kann von Lebensmitteln und Fertiggerichten bis hin zu Haushaltsprodukten und Freizeitangeboten reichen.
Die Ansprache von Einzelhaushalten erfordert jedoch auch eine hohe Sensibilität im Umgang mit dem Thema Einsamkeit. Einsamkeit ist ein wachsendes Problem in Deutschland, das durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wurde. Laut einer repräsentativen Studie der Universität Bremen fühlten sich im Jahr 2020 bereits 26,6 Prozent der Befragten mehrmals pro Woche oder sogar täglich einsam. Besonders betroffen sind Alleinlebende, Frauen und jüngere Menschen.
Einsamkeit wird oft als subjektives Phänomen wahrgenommen, das mit einem Mangel an sozialen Kontakten und einem Gefühl der Isolation einhergeht. Dieses Gefühl kann belastend und negativ sein, aber auch motivierend wirken, um nach neuen sozialen Kontakten zu suchen. Daher ist es wichtig, in Marketingkampagnen eine respektvolle und einfühlsame Ansprache zu wählen, die die emotionalen Bedürfnisse der Zielgruppe berücksichtigt.
Die Zunahme der Einzelhaushalte in Deutschland ist ein Trend, der die Lebensmittelindustrie nachhaltig beeinflusst. Unternehmen müssen sich auf veränderte Konsummuster einstellen und ihre Produktentwicklung, Vermarktung und Logistik entsprechend anpassen. Die Bereitschaft zur Innovation und Anpassung an die Bedürfnisse einer wachsenden Zahl von Einzelpersonen wird dabei entscheidend sein, um langfristig erfolgreich zu sein. Angesichts der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass der Trend zu Einzelhaushalten auch in Zukunft anhalten wird, was weitere Impulse für die Branche setzen wird.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/statistik-wohnen-einzelhaushalte-100.html#:~:text=Im
Weitere Trends entdecken
Newsletter Anmeldung
Nie wieder das wichtigste rund um die Branche verpassen.